Es ist Samstag der 11te September 2021. Ich sitze in einem Café in Lissabon und reflektiere ein wenig über die letzten Monate. Nach meiner Zeit in Spanien, dem Besuch auf den Azoren und meinem Abstecher in die Welt der Gemüsegärtner in Norddeutschland, bin ich einfach mal 2 Monate quer durch Frankreich und Spanien marschiert und habe dabei mehr als 1100 Kilometer zu Fuß zurück gelegt.
So viele Ideen gingen mir durch den Kopf, darüber wie und wo ich weiter leben will. Ein paar Ideen kamen auf und verliefen sich wieder im Sande der Spanischen Nordküste. Und doch zog mich mein Gefühl immer weiter nach Portugal.
Portugal. Portugal. Portugal. Irgendwie war mir klar, dass ich in Portugal den Winter verbringen und vielleicht sogar weiterhin leben will. Bei diversen Surfurlauben gefiel mir das Klima, die Landschaft, die Strände, die Menschen und ihre etwas andere Mentalität. Alles ist einfach etwas entspannter. Natürlich hat das Land, so wie jedes Land, seine Probleme, aber das hat ja nichts mit meinem Gefühl zu tun.
Es ist der perfekte Ort für mich. An der Küste ist es warm aber nicht tropisch, die Winter sind mild und man kann trotzdem noch viel Zeit draußen verbringen. Es gibt Strände zum Sitzen, in die Ferne starren und natürlich Surfen. Es gibt viele interessante Projekte und Communitys im Bereich der Nachhaltigkeit, Spiritualität und Natur. Und ich liebe einfach die Natur hier. Die Küsten, die Klippen und das Inland sind wunderschön, auch wenn es aufgrund der warmen Sommer manchmal etwas karg ist.
Aber vor allem dieses südländische Flair hat es mir angetan. Die Uhren laufen einfach etwas langsamer, die Menschen sind gefühlt entspannter und freundlicher als in manchen nordeuropäischen Ländern. Vermutlich einfach wegen der Sonne.
Lissabon ist dazu eine internationale Metropole mit einer vielfältigen Bevölkerung. Sie bietet alles was man braucht. In der Innenstadt gibt es anspruchsvolle Kultur, schöne Architektur, schicke Cafés und im Umkreis von 50km gibt es Traumstrände und schöne Natur. Auch namenhafte Bands machen oft einen Abstecher nach Lissabon für ein Konzert.
Ich fühlte mich in Portugal einfach immer wohl und angekommen. Und ganz praktisch gesehen ist es einfach ein Teil von Europa. Ich habe viele Auswanderer in Asien kennen gelernt, die seit mehr als 5, 10 oder 20 Jahren in Indien, Sri Lanka oder Bali wohnten, aber immer noch keine Aufenthaltsgenehmigung haben. Man behilft sich mit „Border Hopping“ und sinnlosen Flügen ins Nachbarland, um das Visum bei Rückkehr zu erneuern. Außerdem ist die Bürokratie um ein eigenes Unternehmen zu gründen oder ein Stück Land zu kaufen fast unmöglich zu bewältigen. Viele sind nach mehr als 10-20 Jahren daran irgendwann zu Grunde gegangen und zurück in ihr Heimatland. Nicht so in Portugal. Wenn man keine schweren Kriminalfälle begeht, kann man als europäischer Bürger hier einfach leben, arbeiten und bleiben. Kein Visum, kein Stress.
Kurz vor meinem Einmarsch nach Santiago de Compostela flatterte eine E-Mail in mein Postfach: „Signing Bonus, wenn du bei unseren deutschsprachigen Projekten in Lissabon anfängst.“.
Eine Firma in Lissabon hatte mich noch auf ihrem Verteiler, weil ich mich dort 2 Jahre vorher mal gemeldet hatte. Da antworte ich doch mal drauf.
Dass ich zwischenzeitlich schon ein Workaway organisiert hatte, kam gerade gelegen. Auf einem alten Weingut konnte ich in Ruhe die Einstellungstests auf dem Laptop einer der zwei Schweizer Auswanderinnen machen und nach einer Woche war klar: Ich ziehe nach Lissabon. Mit Job und gestellter Firmenwohnung.
Wie alles zusammenspielt, wenn man nur macht. Die Einstellungstests dauerten schon einige Stunden und mehrere Tage, um sie zu bearbeiten. Dazu noch mehrere aufgezeichnete Interviews und Absprachen. Ich denke viele Menschen würden sich davon schon abschrecken lassen.
Und nun sitze ich in einem Café in Lissabon, nachdem ich heute morgen meine erste Surfstunde auf Firmenkosten hatte. Wolken sehe ich hier nur ganz selten, die Sonne dafür ständig. Und trotzdem ist es abends schön mild, weil der Küstenwind am Abend das Land angenehm abkühlt.
Ich fühle mich seit langem mal angekommen an einem Ort, obwohl ich noch nicht so viele Menschen hier kenne. Aber das hat sich bisher immer ergeben. Ich nehme mir gerne Zeit, um mir meine Routinen zu kreieren, und mit der Zeit ergeben sich aus diesen Routinen und meinen sehr vielseitigen Aktivitäten auch interessante Bekanntschaften.
Aber eigentlich ist mir das egal, was passieren soll wird passieren. Der Job ist angenehm anspruchsvoll aber nicht vereinnahmend – eine reine Konzentrationsübung, perfekt um sich in einem meditativen Workflow zu vertiefen. Und abends sitze ich einfach am Ufer des Tejo und starre in die Ferne in totalem Frieden mit mir und der Welt.